Weinviertler Kirtagsmusik heute

Wusstest du, warum die Weinviertler Kirtagsmusik heute nahezu ausgestorben ist?

Martin Haslinger ist nicht nur Klarinettist und Leiter der Musikschule Hollabrunn. Wenn es um Weinviertler Kirtagsmusik geht, für die er heute ein ausgewiesener Experte ist, dann ist Martin zunächst mal der Neffe von Alois Haslinger. Dieser ist noch ein junger Mann, als er sich in den frühen 1960er Jahren auf die Spuren der Weinviertler Kirtagsmusik begibt. Noten will er finden, um diese ganz besondere Weinviertler Musikrichtung wieder zu spielen, wieder aufleben zu lassen, nachdem sie vom Zweiten Weltkrieg einfach aus dem Weinviertel wegradiert schien. Dabei war sie davor so erfolgreich gewesen und so beliebt, seit dem späten 19. Jahrhundert war sie ein bedeutendes Element unserer Weinviertler Kultur – bis die Lustbarkeit, das Feiern und der Kirtag mit dem Anbruch des zweiten Weltkriegs verboten wurde. Alois Haslinger will sich damit nicht abgeben, als Jugendlicher richtet er im Patzmannsdorf der Nachkriegszeit einen Kirtag aus, engagiert eine Kapelle von früher und muss erkennen, dass die Zeit der Weinviertler Kirtagsmusik vorüber scheint. Auf den Tanzflächen reüssieren nun Andere, sie heißen Caterina Valente, Conny Froboess und Peter Kraus – und sie bringen eine fröhlich softe deutsche Version amerikanischen Swings und Rock’n Rolls ins Weinviertel, gern auch mit international exotischem Unterton. Die Weinviertler Kirtagsmusik bedeckt schon bald eine dicke Staubschicht.

„Musik braucht eine Bühne – und Tanzmusik braucht eine Tanzbühne.“, sagt Martin Haslinger. „Diese Bühne ist es, die sich im Lauf der Zeit so verändert hat, dass für die Musikrichtung kein Platz mehr war.“ Damit meint der Musiker zunächst den Kirtag selbst, dessen Wesen sich in der Nachkriegszeit zu verändern beginnt. „Geänderte Arbeitszeiten und ein neues Gesellschaftsbild prägen das Brauchtum – heute werden sie nicht mehr von der Burschenschaft ausgerichtet, sondern vielleicht von der freiwilligen Feuerwehr, nur noch sehr selten dauern sie bis Montag, oft ist sogar der Begriff des ‚Kirtags‘ eingeschlafen.“ Auch die Rolle des Wirtshauses im Ort hat sich verändert. „Früher hat Weinviertler Kirtagsmusik auch zwischen den Kirtagen gelebt, im Saal des Wirten oder im Hinterhof, bei Veranstaltungen oder Tanzabenden – heute sind klassische Wirtshäuser schon generell nur noch schwer zu finden.“, sagt Haslinger. Er selbst entdeckt die verborgene Schönheit der Weinviertler Kirtagsmusik erst in den 90er Jahren, folgt den Spuren seines Onkels Alois und bringt die Stücke von Krickl & Co. mit einer eigenen Kapelle wieder auf die Bühnen des Weinviertels. Damit ist er nicht alleine, an anderer Stelle im Weinviertel formieren sich die „Stadltaunza“ zur Wiederbelebung der alten Tänze. Für die Musiker und Tänzer tun sich dabei allerdings bald all jene Hürden ein, die die Kirtagsmusik einst einschliefen ließen. „Passende Bühnen sind dünn gesät.“, sagt Haslinger – und selbst wenn sein Ensemble eine findet, haben die Leute meist die heutigen, schnellen Kommerzpolkas im Ohr. „Demgegenüber bietet die Weinviertler Kirtagsmusik ein viel gemächlicheres und auch reduziertes Repertoire – und man tanzt heute nicht mehr Walzer in der damaligen Intensität.“

Betrachtet man die Weinviertler Kirtagsmusik aber abseits ihrer ursprünglichen Bestimmung als Tanzmusik – dann, da ist sich Martin Haslinger sicher, hat sie auch heute noch eine Chance uns zu verzaubern: „Ihr Flair bleibt. Ihre einfache Schönheit. Und dieses Flair muss man nicht museal bewahren – man kann es auch einfach leben.“ Gerade in Zeiten, in den wir das Einfache, das Urtümliche wieder mehr schätzen, hätte sich die Weinviertler Kirtagsmusik eine kleine Renaissance verdient. Nicht nur, weil das Onkel Alois sehr freuen würde. Sondern vor allem – weil sie ein Stück Weinviertler Kulturgeschichte ist.