Krickl-Stickl
Wusstest du, was ein Krickl-Stickl ist?
Oft wird dem Weinviertel vorgeworfen, es habe keine eigene, keine „originäre“ Weinviertler Kultur entwickelt. Den Grund dafür sehen Beobachter in der jahrhundertealten Unsicherheit, der das Weinviertel schutzlos ausgeliefert war, in der Leibeigenschaft, die hier länger andauerte als anderswo, oder in der Nähe zur allmächtigen Kulturweltstadt Wien. Wo sich die Dörfer tief in die wenigen Senken duckten, um sich vor Feinden aus allen Windrichtungen zu verstecken, wo die Arbeit hart und der Lohn karg war und wo kaum ein Tourist vorbeikam, den es zu bespielen galt – schien für Kunst und Kultur wenig Zeit zu bleiben. „Doch wie so oft im Weinviertel lohnt ein zweiter Blick – denn auch unsere Volkskultur gibt ihre Geheimnisse erst beim näheren Hinsehen preis.“, sagt Martin Haslinger. Er ist nicht nur Leiter der Musikschule Hollabrunn, sondern auch ausgewiesener Experte für die einzige, authentisch-originäre Musikrichtung, die das Weinviertel zu bieten hat: Die Weinviertler Kirtagsmusik!
Bis in die Hälfte des 20. Jahrhunderts galt der Kirtag als das wichtigste Fest und Großereignis im Weinviertler Dorfleben. Er wurde von der (unverheirateten!) Burschenschaft organisiert, Bräuche und Gepflogenheiten folgten einem traditionellen Regelwerk. Der Ort präsentierte sich auf das Feinste herausgeputzt und in Feierlaune mit Bühne, Kirtagsbaum, Standln, Schießbuden und natürlich – mit einer Tanzfläche. Hier spielten die am Kirtag unverzichtbaren Musikkapellen, hier wurde getanzt, hier lebte die Leidenschaft. Und hier erklang ab dem späten 19. Jahrhundert ein eigener Musikstil, eine Form der Tanzmusik, wie so nirgends anders war: Die Weinviertler Kirtagsmusik. Ihre Komponisten hießen Andreas Spitzer, Johann Zant oder (am berühmtesten) Josef Krickl, waren Weinviertler und hauptberuflich oft Lehrer oder Landwirte. Meist dienten sie einem k.u.k. Musikregiment, wo sie den Werken ihrer großen Vorbilder begegneten – Johann Strauss oder auch Carl Michael Ziehrer. An deren Wiener Gesellschaftsmusik orientierten sie sich und vereinfachten sie in ihren Kompositionen für die Weinviertler Kirtage: Sie sollte auch von weniger virtuosen Musikern spielbar sein – und das Kirtagspublikum auf der Tanzfläche nicht überfordern. „Dadurch entstand eine ganz wunderbare und eigenständige Form der Tanzmusik.“, schwärmt Haslinger. „Sie besticht durch ihre lieblichen Melodien, ihre klare Rhythmik.“ Walzer, Marsch, Polka – in ihrer Abfolge ebenfalls einem klaren Kirtagsregelwerk unterworfen, gespielt von kleinen Orchestern (mindestens 13 Mann mussten es schon sein), die sich in ihrer Besetzung an der Wiener Salonmusik des 19. Jahrhunderts orientierten, um diese allerdings zur Blaskapelle weiter zu entwickeln.
Manche dieser Musiker und Komponisten erlangten Bekanntheit im Weinviertel, tourten von Kirtag zu Kirtag und verdienten gutes Geld. Ihr Erfolg hielt über mehrere Jahrzehnte an, bis der 2. Weltkrieg den Kirtagen und damit auch der Weinviertler Kirtagsmusik ein jähes Ende setze. In der Nachkriegszeit kamen die Kirtage zurück, auf ihren Tanzflächen dominierten nun aber neue Schlagerklänge aus Deutschland und Amerika – und die Weinviertler Kirtagsmusik geriet in Vergessenheit. „Das ist sehr zu bedauern.“, sagt Martin Haslinger, der die Stilrichtung heute mit einer eigenen Kapelle am Leben erhält. „Nicht nur weil die Weinviertler Kirtagsmusik unsere eigene, originäre Musikrichtung ist. Sondern schon allein weil es wunderbare Musik ist. Musik von einfacher Schönheit, ohne vordergründigen Schnickschnack. Musik, die sich erst dem eröffnet, der zweimal hinhört. Musik wie das Weinviertel selbst!“