Situation heute
Wusstest du, wie verzahnt wir heute mit unseren Nachbarn sind?
„Von Stettin im Baltikum bis nach Triest an der Adria ist quer über den Kontinent ein eiserner Vorhang gefallen“ – mit diesen Worten prägte der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill schon 1946 den Begriff des „Eisernen Vorhangs“ für die Teilung Europas. Die politischen Unterschiede zwischen den liberalen westlichen Demokratien und der zunehmend totalitären Gesinnung kommunistischer Regime im Osten teilte die Welt in zwei Machtblöcke auf. In „Kalten Krieg“ sollten sie sich jahrzehntelang feindlich gegenüberstehen – getrennt durch eine Grenze, die quer durch Europa vom Norden Finnlands bis ans Schwarze Meer verlief und die im Laufe der Jahre immer geschlossener, immer gefährlicher, immer tödlicher wurde.
Diese Grenze verlief auch am nördlichen und nordöstlichen Rande des Weinviertels – hier schottete sich die damalige Tschechoslowakei, als Bruderstaat der Sowjetunion vom Westen ab. Nur zwei Jahre nach der kommunistischen Machtergreifung begann das Regime ab 1950, zunächst Verkehrswege in den Westen zu verbarrikadieren und Grenzübergänge zu schließen. Als dann 1956 die blutige Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn in einer größeren Fluchtwelle endete, verstärkte auch die Tschechoslowakei ihre Grenzanlagen massiv. Fortan bestanden sie aus zwei Zaunreihen mit einem Abstand von mehreren Metern. Der landeinwärts verlaufende Zaun stand unter Hochspannung, dahinter folgte ein abschreckendes Arsenal aus Signalminen, Infrarotsperrsystemen, mit Leuchtraketen verbundenen Stolperdrähten und Panzersperren – in einzelnen Grenzabschnitten waren sogar Landminen verlegt. Überwacht wurde die Grenze von der paramilitärischen Grenztruppe Pohraniční stráž (PS): Wer bei einem Fluchtversuch erwischt wurde, musste mit allem rechnen – allein schon auf Fluchtplanung standen 10 Jahre Haft. Über 130 Zivilisten und unzählige tschechoslowakische Grenzbeamte sollten hier bis 1990 den Tod finden.
Der sprichwörtlich eisern gewordene Vorhang sorgte aber nicht nur in der Tschechoslowakei für Einschüchterung und Schrecken, sondern hinterließ auch auf Weinviertler Seite ein diffuses Gefühl der Angst. Die Bilder der patrouillierenden Grenzsoldaten gehörten zum Feindbild des Ostens, das hier stets nah, greifbar und erlebbar schien. „Schon als Kind hieß es, da darfst du nicht hin“, erinnert sich der Weinviertler und spätere Landeshauptmann Erwin Pröll, „und man hörte allerlei Gerüchte und Geschichten.“ Doch mit zunehmendem Alter wich seine Angst einem Gefühl der Sorge um das Weinviertel. „Wenn man einer Region sprichwörtlich enge Grenzen setzt, kann sie sich auch nicht weiterentwickeln.“ Wie viele andere Weinviertlerinnen und Weinviertler, erlebt das auch der junge Erwin Pröll. „Der politische Begriff der Abwanderung wird dann real – wenn du enge Freunde verlierst, weil sie hier einfach keine Chance mehr sehen und wegziehen.“ Das Weinviertel war das Ende der westlichen Welt und im damaligen Verständnis – überhaupt das Ende der Welt. In unserer Region herrschte Stillstand. Der eiserne Vorhang schien für immer zementiert. Dass sich das eines Tages ändern könnte, davon wagten nur wenige zu träumen. Noch.