Wende 1989

Wusstest du, wie wichtig das Jahr 1989 für das Weinviertel war?

Noch im Jänner wird der tschechoslowakische Schriftsteller und Regimekritiker Vaclav Havel bei einer Demonstration in der Tschechoslowakei festgenommen und vier Monate ins Gefängnis gesteckt – am Ende des gleichen Jahres wird er vom Parlament in Prag zum Präsidenten gewählt. Dazwischen liegt das Jahr 1989, eines der wohl außergewöhnlichsten und bedeutendsten Jahre in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Für Europa bringt 1989 den „Wind of Change“, die Öffnung der Länder des Warschauer Pakts, die durch die neue Sowjet-Führung unter Mikhail Gorbatschow unwidersprochen bleibt. Für die Tschechoslowakei bringt es die „samtene Revolution“ – den weitgehend gewaltfreien Systemwechsel vom Realsozialismus zur Demokratie in der Tschechoslowakei.

Eine von der Polizei aufgelöste Demonstration zum Internationalen Tag der Studenten in Prag führt im Herbst 1989 zu einer landesweiten Reihe von Protesten. In beiden Landesteilen der noch vereinten Tschechoslowakei formen sich Freiheitsbewegungen, denen sich Bürgerrechtler, Dissidenten, Kirchenvertreter und Kulturschaffende anschließen. Mit ihren Schlüsseln in der Hand versammeln sich die Tschechoslowaken am Prager Wenzelsplatz, um gegen die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zwänge im Land zu demonstrieren – und läuten das Ende einer der repressivsten kommunistischen Diktaturen Osteuropas ein: Am 24. November tritt die Führung der kommunistischen Partei geschlossen zurück.

Nur wenige Tage später beginnen sich die Folgen der samtenen Revolution auch auf das Weinviertel auszuwirken. Am Freitag, den 1. Dezember 1989 um 14.18 veröffentlicht die APA (Austria Presse Agentur) die Eilmeldung, dass Österreich die Visumspflicht für CSSR-Bürger ab sofort und bis 17. Dezember einseitig aufheben wird. Aus inoffiziellen Quellen des Prager Innenministeriums sickern außerdem Informationen vom bevorstehenden Abbau der Grenzsperren des Eisernen Vorhangs an der Grenze zu Österreich durch. Am 4. Dezember um Punkt Mitternacht wird schließlich wahr, wovon Tschechen, Slowaken wie Weinviertler jahrzehntelang geträumt haben: Die offizielle Öffnung der CSSR-Grenzen tritt in Kraft, Bürger der Tschechoslowakei benötigen zur Ausreise nur noch einen Reisepass, und Österreich verlangt kein Visum mehr. Über Nacht wird das Weinviertel zur Weltbühne historischer Ereignisse. An den Grenzübergängen begegnen sich Ost und West, Tschechen und Slowaken und Österreicher, Europäer, über Jahrzehnte durch einen eisernen Vorhang getrennt, wiedervereint in einer Dezembernacht, die noch vor wenigen Monaten niemand je für möglich gehalten hätte.

Am 3. Dezember treffen sich der österreichische Aussenminsiter Alois Mock und sein tschechischer Kollege Jiri Dienstbier am Weinviertler Grenzübergang Kleinhaugsdorf und fahren dann weiter nach Laa an der Thaya um dort symbolisch den Stacheldraht des eisernen Vorhangs zu durchschneiden. Es herrscht Volksfestatmosphäre. Eine junge Frau hält ein Plakat in die Höhe, die Forderung „Europa bis zum Ural“ steht darauf geschrieben – darunter in kleinen Lettern die Unterschrift einer grenznahen Weinviertler Gemeinde: „Europadorf Alberndorf“. Über Nacht ist das Weinviertel vom Rande der westlichen Welt zurück ins Herzen Europas gerückt.

Historische Bilder zur Grenzöffnung 1989 findet ihr hier: ORF TV-Thek