Presshäuser

Wusstest du, was ein Gaittürl ist?

Eine Weinviertler Kellergasse ist nicht nur malerisches Wahrzeichen unserer einzigartigen Landschaft, sondern auch Tor zu einem unterirdischen Labyrinth aus Kellerröhren. Mit Hilfe von Nachbarn haben sie die Bauernfamilien vor 200 Jahren in Lehm und Löss gegraben – und dann vor ihren Eingang ein Haus gebaut, um den Wein genau dort zu pressen, wo er dann auch gelagert werden sollte.

Weinviertler Kellergassen, © Weinviertel Tourismus / Robert Herbst
Weinviertler Kellergassen

Presshäuser sind heute wunderbare Relikte bäuerlicher Architektur. „Sie sind die wohl schlichtesten Wirtschaftsgebäude, die man sich vorstellen kann“ sagt Christian Kalch, der sich als Architekt seit Jahren mit unseren Kellergassen beschäftigt, „gebaut von Weinbauern, die mangelndes Fachwissen mit g’sundem Hausverstand wett gemacht haben.“ Ihr Ziel war es, ein einfaches, solides Gebäude zu erschaffen, ein Haus dessen Form der Funktion folgt. Das ergibt sich schon aus der Lage – über einen „Hals“ schließt das Presshaus meist direkt an die Kellerröhre im Hang an. Sein Grundriss folgt dem mächtigen Werkzeug, das den Trauben ihren kostbaren Saft abrang – der Weinpresse. Mit bis zu neun Metern Länge, aber nur zwei Metern Breite gab die Presse den Bau vor, der rechteckig entweder parallel oder quer zur Kellergasse situiert wurde (abhängig von der Breite des Hohlwegs). Sowohl im Presshaus, aber vor allem auch im Keller war der Boden aus Lehm gestampft, was wiederum zu einem konstant kühlen Klima beitrug, in dem sich Holzfässer wohl fühlen. In einer Achse mit dem Kellerhals befand sich auch immer die Eingangstür des Presshauses – nicht nur aus Lichtgründen, sondern auch weil man so den schnellsten Weg nach draußen finden konnte, wenn man den gefürchteten Gärgasen entkommen wollte, die sich im Keller bilden konnten. Heute ist diese Gefahr gebannt, denn wo kein Wein mehr gärt, entstehen keine Gärgase – und wer durch die Eingangstür nach draussen, auf die Kellergasse tritt, kann sich nach Herzenslust am äußeren Erscheinungsbild der Presshäuser erfreuen.

Dabei fällt zunächst die wunderbar weiche Formgebung auf. „Ein Presshaus hat keine Kanten,“ lächelt Kalch, „Kanten sind unmenschlich, man kann sich leicht an ihnen verletzen, oder sie beim Arbeiten beschädigen – Presshäuser haben Rundungen.“ Und er fügt hinzu, dass die ideale Rundung den Radius einer Bouteille einnimmt. Gelöschter Kalk gab dem Lehmmauerwerk ein südliches Weiss, jedes Dorf hatte damals eine Kalkgrube und jedes Frühjahr rückten die „Mäutaweiba“ aus, um die Presshäuser frisch zu „weissn“ was nicht nur die Langlebigkeit des Mauerwerks garantierte, sondern auch einen abweisenden Effekt auf Insekten hat – und, zugegeben, wunderschön aussieht. Auf Fenster verzichtete man, dafür gab es eine einfache zweiflügelige Tür, durch die man kleinere Weinfässer hineinrollen konnte, mehrere Lüftungsöffnungen und ein rechteckiges Gaitloch (mit Gaittürl) knapp über dem Boden, durch das die Trauben ins Innere zur Presse befördert wurden. Über den Mauern neigt sich ein Dach in einem Winkel von 37 bis 42 Grad, gedeckt zunächst mit Stroh, später mit gebrannten Lehmziegeln, den sogenannten  „Wiener Taschen“, die man daran erkennt, dass sie rechteckig geformt sind – und nicht rund, wie die heute weit verbreiteten „Biberschwanz“-Ziegel.

„Die Schönheit dieser Baukunst – liegt in ihrer kompromisslosen Schlichtheit.“ schwärmt der Architekt und sagt unseren Presshäusern eine sanfte Auferstehung voraus: „Immer mehr Weinviertler entdecken das Erbe der Kellergassen vor ihrer Haustür und die einfache Ästhetik unserer Presshäuser.“ Für das Wahrzeichen des Weinviertels – eine gute Entwicklung!