Weingartenlandschaft

Wusstest du, dass eine „Gstettn“ ein eigenes Ökosystem ist?

Von allen fünf Landschaftsformen, die es im Weinviertel gibt, ist die Weingartenlandschaft zweifelsohne die Prominenteste. Mit betörender Ästhetik geben die Weingärten unserem Land seinen Namen und stehen dabei sinnbildlich für genussvolle Gelassenheit im Einklang mit der Natur – vom Retzer Land über das Pulkautal, Falkenstein und Poysdorf bis nach Wolkersdorf, Auersthal und Bockfließ. Doch wie so oft im Weinviertel ist es erst der zweite Blick, der das ganze Ausmaß ihrer Schönheit offenbart. Denn abseits der akkurat gepflegten Weingärten, daneben, dazwischen, in den Gstettn – blüht ein kleines Universum der Arten.

„Das liegt vor allem an der Kleinstrukturiertheit dieser Landschaftsform“, weiß Manuel Denner, Landschaftsplaner und Experte für Weinviertler Naturlandschaften. Weingärten werden immer wieder unterbrochen – von Brachen, Hohlwegen und Trockenböschungen. Ihre kleinen, unregelmäßigen Strukturen bedeuten Abwechslung. Und Abwechslung bedeutet Artenvielfalt. Nicht selten wurden Weingärten in Terrassen angelegt – dann sind sie für Naturfreunde am Spannendsten, „denn je mehr Relief ein Weingarten bietet, desto mehr Abwechslung bieten seine Strukturen,“ erklärt Denner, „ganz besonders dort, wo sich Weingartenlandschaften mit Trockenrasen treffen, wie etwa in Retz, am Gollitsch und Kalvarienberg – oder rund um Ruine Falkenstein.“ Die Böschungen dieser Weingärten, wir Weinviertler kennen sie als „Gstettn“, sind bunt, sie sind reich an Blüten und Kräutern, ein Paradies für Insekten, wie etwa Wildbienen, die hier ihre Niströhren in den besonnten Löss hineinbauen – und ein Paradies für seltene Vögel. Der Wiedehopf zum Beispiel, der mit seinem bunten Gefieder und seinem auffälligen Irokesenkopfschmuck nicht nur Ornithologen sofort ins Auge sticht, findet hier ideale Bedingungen. Er mag es sonnig und warm und brütet mitunter in Lehmwänden, Spechthöhlen und Holzstapeln. Mit stetig nickendem Kopf durchstreift er die Gstettn und sucht am Boden nach Nahrung – vorzugsweise nach unterirdisch lebenden Engerlingen, die er mit seinem langen Schnabel ertasten kann. Aber auch Würmer, kleineren Eidechsen und andere Bewohner der Weingartenlandschaften stehen auf seinem Speiseplan. Bedroht wird der auch seltene Wiedehopf wie so viele Tierarten vor allem durch eine Intensivierung der Landwirtschaft – und das mag zunächst nach einem Widerspruch klingen, ist doch sein Lebensraum, die Weingartenlandschaft nichts anderes als landwirtschaftlich genutzte Fläche.

„Es geht um die Struktur“, wiederholt sich Denner, im Hinblick auf den Wiedehopf als Beispiel bedrohter Tierarten. „Seit Jahrhunderten ist das Weinviertel eine Kulturlandschaft, geprägt, ja geschaffen vom Menschen. Was den Menschen nicht vertragen hat, der Auerochs, das Wildpferd – ist längst weg. Was noch da ist, kommt mit den Gegebenheiten gut klar – oder braucht sie sogar.“ Oder anders gesagt: Würde man die Bewirtschaftung stoppen, würde das Weinviertel verarmen. „Wichtig ist aber, dass wir die Kleinstrukturiertheit unserer Weingartenlandschaften bestmöglich erhalten und naturnah pflegen“ sagt Denner. Denn je größer und normierter bewirtschaftete Flächen werden, desto kleiner wird die Abwechslung, wird die Artenvielfalt, die hier gedeihen kann. Das ist, neben hohem Pestizideinsatz, die wohl größte Bedrohung, der unsere Pflanzen und Tiere gegenüberstehen. Nicht nur, aber auch in den Weingartenlandschaften.