Heurigenkultur

Wusstest du, worüber sich Touristen beim Heurigen oft wundern?

Nichts verkörpert die Weinviertler Lebensart der genussvollen Gelassenheit so nachhaltig wie ein Weinviertler Heurigen. Überall im Weinviertel locken sie den Gast, manche zelebrieren die Geschichte, geben sich traditionell einfach oder bäuerlich rustikal, andere präsentieren sich in moderner Architektur, in einem richtungsweisenden Formenspiel aus feinem Holz und lichtem Glas. Die schiere Anzahl (allein das Retzer Land zählt heute 27 Betriebe!) und die architektonische Vielfalt unserer Weinviertler Heurigen unterstreicht ihre Bedeutung für unsere Geschichte – aber auch für unsere Zukunft.

Einmal mehr war es der mit Weitblick gesegnete Kaiser Josef II., der mit seinen Reformen rund um den Weinbau die Geburtsstunde der Heurigen einläutete: Am 17. August 1784 erließ er eine Zirkularverordnung, die es jedermann erlaubte, selbst hergestellte, damals noch „Labensmittel“ genannte Lebensmittel, sowie Wein und Obstmost zu allen Zeiten zu verkaufen und auszuschenken. Für die Weinviertler Bauern bedeutete dies den Einstieg in die Gastronomie – allerdings auf zunächst sehr einfachem Niveau. „Man hat einfach das Wohnzimmer ausgeräumt und das Marienbild gleich hängen lassen!“, schmunzelt Winzer und Experte Josef Pleil. Auf eine Speisekarte konnte man getrost verzichten, es gab ohnehin meist nur Brot und Nüsse. „Noch bis in die 60er Jahre war es durchaus üblich, sich sein Essen selbst mitzubringen, weil kleinere Heurigenbetriebe wenn überhaupt, dann nur eine höchst bescheidene Auswahl an Speisen boten.“ Über dem Eingangstor steckten die Bauern gut sichtbar ein Büschel Zweige aus, den „Buschen“, der dem Heurigen bald den Beinamen „Buschenschank“ eintrug und potenziellen Gästen signalisierte: „Ausg’steckt is‘“. Denn früher wie heute gilt, dass sich echte Heurige „in einem Heurigengebiet“ und „auf einem für die landwirtschaftliche Nutzung bestimmten Betriebsgelände des jeweiligen Hauers“ befinden müssen und vor allem – nur an einem fixen Kontingent von Tagen betrieben werden dürfen. Erfüllen Sie diese Kriterien und beschränken sich in ihrem Speisenangebot auf traditionelle (meist kalte) Köstlichkeiten aus eigener Herstellung, benötigen Heurigenwirte bis heute keine Gastgewerbekonzession. Das ebnete den Weg für ihren Erfolg: „Über 70 (!) florierende Heurige gab es vor hundert Jahren in Wolkersdorf – bei gerade mal zehn Prozent der heutigen Bevölkerung!“, erzählt Pleil. 

Dass die Absenz von etwa Bier, Kaffee oder Pommes Frites auf der Heurigenkarte gerade bei ausländischen Gästen immer wieder zu verwundertem Augenreiben führt – zeigt nicht nur, wie einzigartig diese ländliche, österreichische Gastronomieform weltweit ist, es verdeutlicht auch, warum der Heurigen gerade bei uns im Weinviertel Zukunft hat: In einer Zeit, in der „Slow Food“ zum Inbegriff für bewusste Ernährung geworden ist, sind regionale Qualität und saisonale Vielfalt mehr denn je gefragt. Die typische Weinviertler Heurigenkarte beantwortet diesen immer stärker werdenden Wunsch mit einer Vielfalt an Spezialitäten vom Hausschwein, mit eingelegtem Gemüse, mit Brot vom Weinviertler Bäcker, mit Säften aus eigener Herstellung – und natürlich mit exzellentem Wein. „Es wird Zeit, unser bäuerliches Erbe als Geschenk für unsere Zukunft zu erkennen.“, rät Experte Pleil. Denn wer sich nie weit vom Ursprung entfernt hat, tut sich auch nicht schwer, zu diesem zurückzukehren.